Mombasa

Mombasa

Rolf-Peter Wille

Nervös war ich nie, wenn ich die vornehme Villa Maestro Manszos betrat. Allerlei Räuberpistolen hatte ich im Kopfe doch meine Bach Invention nicht in den Fingern. Aber das spielte natürlich keine Rolle. Der Maestro, ein etwas exzentrischer Pianist, umarmte mich stürmisch, führte mich über die knarrende Holztreppe in den Konzert Salon und, nicht etwa - wie man es doch von einem Klavierlehrer hätte erwarten sollen - zu seinem Bechstein Flügel, sondern zu der seidenen Weltkarte, die eine fantastische Wand seines Salons bedeckte. Hier standen wir, der Maestro und ich.

Hier standen wir lange, medi- und diskutierend. Stets fasst die Geographie meine Einbildungskraft mit magischen Krallen. Stundenlang im Bette vor dem Einschlafen versenkt mich der Atlas in Grübeleien, die sich noch in meine Träume verspinnen. Ich betrachte, wie der mächtige Stiefel, Italien, mit dem kleinen Sizilien Fussball spielt, wie der Schädel Afrikas auf Australien starrt und oben springt Skandinavien als Tiger über Europa. Selbstverständlich habe ich all diese Länder bereist, habe die merkwürdigsten Wesen getroffen, die seltsamsten Abenteuer bestanden.

Das Seltsame jedoch an der seidenen Welt des berühmten Pianisten Manszo waren die winzigen Fähnchen, die er überall gehisst hatte, in Bangkok, Paris, Sydney, und…, weiss der Teufel. All die Wimpel waren durch feine Fäden mit dem Zentrum Nürnberg, der Heimatstadt Manszos, verbunden. Wie das Netz einer riesigen Vogelspinne klebte die Welt an der Wand oder doch eher wie das Netz von Singapore Airlines. Um das Weltreich, das der Maestro mit der Kraft seiner zehn Fingerchen erobert, hätte ihn gewiss Alexander der Grosse beneidet. Blaue Fähnchen waren Klavierkonzerte, rote hingegen Klavierabende, die der Maestro in bestimmten Metropolen gegeben hatte.

"Ja, hier in Mombasa - das wirst Du mir nicht glauben - stellten sie mir einen historischen Broadwood auf die Bühne. Das war…, Mensch, das war der Broadwood von Beethoven! Wie der nach Mombasa gekommen ist, das mag der Teufel wissen. Das Publikum, ja, alle 3000 Mann, fingen an zu tanzen, als ich Scarbo spielte. Aber das hat mich kein bißchen gestört. Mensch, wie ich den Scarbo runtergefetzt habe! In zwei Minuten! Viermal musste ich ihn wiederholen, und dann sagte mir der Präsident - er saß gleich in der ersten Reihe, in Spuckweite - sagte mir, daß er Scarbo zur Nationalhymne erklären wolle."

Ich war natürlich ein einfältiger Knabe, und ich verzehrte die Leckerbissen, die mir der verehrte Maestro da auftischte Nein, meine eigene Fantasie mag wohl das Seemannsgarn noch weiter versponnen haben. In meinen Träumen trat ich selbst als Pianist in Island auf. Eiszapfen saßen im Publikum und wenn ich so recht rührselig spielte, schmolz ihnen manche Träne aus den gefrorenen Gesichtern.

Eines Abends, es mag im Herbst 19.. gewesen sein, betrat ich den Manszoischen Salon - doch senza Manszo. Wie immer stellte ich mich vor die seidene Welt. Doch eine rechte Welt war es nicht. Eigentlich konnte man kaum erkennen, was sich hier nun verändert hatte. Gigantisch, in der Tat, war das Manszoische Weltreich. Aber irgendeine Provinz schien zu fehlen. Jemand hatte die rechte untere Ecke weggeschnitten. Ich schritt zum Bechstein und als meine Finger das kalte Elfenbein berührten, spürte ich die Hand der Madame Manszo auf meinem Rücken. "Der Maestro ist krank heute…" flüsterte sie in mein Ohr.

"Wo ist Neuseeland?" fragte ich.

"Pshht!" schrie Madame. "Sprich bloß nicht über Neuseeland mit meinem Mann! Der Maestro gab einen Abend in Christchurch."

"Oh! Christchurch! Da ist es doch sicher Frühling jetzt. Es liegt auf der Südhalbkugel."

"Ja, Frühling…, das mag sein, aber die Kritik sagte, daß Maestro Manszos Chopin den Winter nach Christchurch gebracht habe…"

Nun. Ich war ein dummer Junge. So eine Kritik, fand ich, war sicher ganz lustig. Hatte nicht Schubert die Winterreise geschrieben? Neuseeland jedoch war nicht länger Teil der Welt. Weggeschnitten war es.

Es mögen drei Monate gewesen sein. Ich ging wieder zum Maestro und Kanada fehlte. "Was ist passiert" fragte ich.

"Pshhht!!!" schrie Madame Manszo. Wenn der Maestro das Wort Kanada hört, wird er einen Herzinfarkt erleiden. Jemand in Toronto hat gehustet während der Appassionata und er hatte einen Aussteiger."

"Einen Aussteiger?"

"Na ja. Keinen gewöhnlichen Aussteiger. Er stieg wieder ein, doch - versehentlich - in die Mondscheinsonate."

"Und was sagte die Kritik?"

"Hab ich gar nicht gelesen," weinte die Madame, aber die Überschrift war "Lunatic Passion" mit Fragezeichen.

Ich war ein dummer Junge. "Passion eines Mondsüchtigen" klang sehr romatisch. War nicht Schumann selbst in den Rhein gesprungen?

Nach weiteren drei Monaten jedoch war das Manszoische Weltreich, genau wie seiner Zeit das Byzantinische, verschwunden. Ein Fleck noch klebte an der nackten Wand. Aber das war nicht Byzanz und auch nicht Nürnberg. "Wo ist Maestro Manszo?" fragte ich.

"Mom…", schluchzte Madame.

"…basa?"


Read English version


Back to Rolf-Peter Wille" My Writings

No comments: