Das schwarze Gift (Noch ein Tässchen?)

Das schwarze Gift (Noch ein Tässchen?)

Rolf-Peter Wille

Kulturen - sowohl die Joghurtkulturen als auch die menschlichen - sind lebendige Wesen. Sie werden geboren, blühen, reifen und vermehren sich, und schließlich sterben sie. Ehrwürdige Gebräuche, die uns einst so lieb waren, verabscheuen wir plötzlich. Jahrhundertelang galt der Lotosfuß in China als das Symbol weiblicher Eleganz. Heute bleibt uns nur noch eine eitrige Erinnerung. Auch das Betelnusskauen, das Rauchen und die klassische Musik werden wohl in wenigen Jahren ausgestorben sein, und…, was bleibt uns dann eigentlich noch?

Richtig - der Kaffee! Zwar hat sich das schwarze Gift bereits eine ruhmvolle Vergangenheit gebraut, stets jedoch dampft es modern, frisch, immer anregend. Stets erfindet sich eine originelle Kaffeekultur in extravaganten Kaffeehäusern und nie leert sich die süße Mokkatasse ihrer fantastischen Möglichkeiten. Der Kalif zu Bagdad sitzt behaglich auf seinem Sofa; er raucht aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trinkt hier und da ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkt, und streicht sich allemal vergnügt den Bart, wenn es ihm geschmeckt hat. Balzac - ohne Kaffee kann er nicht schreiben - schlürft finsterschwarzen Sud des nachts. Die Droge "weckt alle seine Lebensgeister, lässt seine Gedanken wie Bataillone aufmarschieren, schickt sein Gedächtnis in die vorderste Linie, ohne seinen Kaffee kann er nicht arbeiten und nicht leben". Arthur Rubinstein sitzt in einem Café am Panamakanal, raucht echte Havanna Zigarren, trinkt wunderbar starken Kaffee, und Stefan Zweig beobachtet von einem Pariser Bistro aus einen Straßendieb.

Charmant lädt uns das Café zum Verweilen ein, zu einer wienerischen Gemütlichkeit. Aber die giftigen Bohnen erlauben das nicht. Sie verführen den Geist in Fantasiewelten, in jene reizvolle Gemütsspannung aus der die Cafékultur ihre fiktive Energie trinkt. Gestern besuchte ich ein Katzencafé in Taipei. Wie bei dem kleinen Muck im Hause der Frau Ahavzi balgten sich die Viecher unartig auf dem Boden, sprangen auf Tische und Theke. Ich setzte mich in ein grausam zerkratztes Sofa, bestellte einen Macchiato und beobachtete einen Studenten am Nachbartisch, der Russisch lernte. Seine Zeitung hatte er auf einen fetten Kater gelegt und er flüsterte russisch in das Ohr des träumenden Tieres, sicherlich Michail Bulgakows teuflischer Kater Behemoth.

Lustig gar war es auf den Krokodilfarmen zu Pingtung im Süden Taiwans. Man reichte uns Caffè Latte, während wir Krokodile mit Fröschen angelten. Wenn die mächtigen Echsen mit ihren Schwänzen das Wasser aufpeitschten, dann spritzte der Schlamm wohl auch in den Kaffee, aber sofort, mit einem Bückling, servierte der Krokodilwirt ein frisches Schälchen Caffè Latte auf dem Silbertablett.

Den Höhepunkt der Exotik findet man jedoch in Zentraltaiwan, wo ja auch in den achtziger Jahren bereits der Boba Bubble Tea erfunden wurde. Es ist das bekannte Mückencafé am Ufer des Sonne-Mond-Sees. Der Espresso wird dort stets pechrabenschwarz serviert. Gemahlen ist er zur Hälfte aus original taiwanesischen Bohnen und zur anderen Hälfte aus kleinen schwarzen Mücken, die, in sehr feinmaschigen Netzen gefangen, sofort frisch geröstet werden. Im Nachgeschmack mag dieser Kaffee eine herb-bittere Note hinterlassen, und deswegen wird er oft mit sehr süßen Ananasküchlein aus Taichung serviert. Stühle gibt es nicht in diesem Café am See. Die Gäste dort vergnügen sich damit, eine Tarantella zu tanzen, und wer mehr als hundert Mückenstiche vorweisen kann, erhält eine Extratasse.

Nun fühle ich mich aber etwas schwindelig. Habe ich zuviel Kaffee getrunken?


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